Louis Favre – Eisenbahnpionier am Gotthard

Berichterstattung von Hans Rudi Lüthy, Gestaltung von Franz Straka

Wenn man den Namen „Louis Favre“ hört, so ist man direkt mit der Geschichte und dem Bau der GOTTHARDBAHN verbunden. Louis Favre wurde am 26. Januar 1826 in Chêne-Bourg bei Genf als Sohn eines Zimmermanns geboren. Nur mit den notdürftigsten Schulkenntnissen, dafür aber mit um so grösserer Willenskraft und Lernbegier ausgerüstet, verliess der junge Favre im Alter von 17 Jahren mit 100 Franken in der Tasche sein Vaterhaus, um als Zimmermann bei einem Pariser Bauunternehmer durch Einfallsreichtum und praktischem Geschick sein Brot zu verdienen. Dank einer Empfehlung einer Genfer Klosterschwester an einen Pariser Unternehmer, fand er in Paris sofort Beschäftigung. Beim Bau einer Holzbrücke über die Marne bewies er bereits seine Berufstüchtigkeit als Zimmermann. Durch den Besuch von Architekturkursen erweiterte er unablässig seine Kenntnisse und das führt dazu, dass die Verwaltung der Bahn Lyon-Genève dem kaum 20-jährigen auf eigene Rechnung den Bau der Eisenbahnlinie nach Charenton übergab, eine Arbeit, die ihn von 1846 bis 1851 beschäftigte.


Portrait von Louis Favre (1826-1879) Bild aus Chronik Gotthardbahn/VHS/SBB
Am 27. April 1850 hat Louis Favre in Vitry-sur-Seine seine Augustine Eugénie Rondeau geheiratet, seine Frau war erst 20 Jahre alt. Von 1852 bis 1854 erstellte er die Linie von Monthard nach Dijon und den Bahnhof von Vaise, darauf übernahm er 1855 den Bau der Linie nach Augré mit dem wichtigen Tunnel von Marne, wo er Gelegenheit hatte, sein Talent als Tunnelbauer zu beweisen. Weitere Erfahrungen holte er sich beim Bau des Mont-Cenis-Tunnels. 1856 bis 1860 führte er an der Linie Genève-Lyon Verbesserungsarbeiten aus, wobei die Verlängerung des Credotunnels an der Genfergrenze ihm endgültig Anerkennung als Autorität im Tunnelbau einbrachte. Die beiden Tunnel von Grandvaux (1857 bis 1861) und Cornallaz (1858 – 1861) an der Linie Lausanne-Fribourg sind ebenfalls sein Werk. Gleichzeitig übernahm er den Bau der Linien der Franco-Suisse auf französischem Boden, die mit ihren Brücken und Unterbauten grosse
Anforderungen an die Tüchtigkeit des Unternehmers stellten. Von 1863 bis 1865 finden wir Favre beim Bau der Linien von Chagny nach Nevers mit dem 1000 m langen Tunnel von Creusot, der durch Granit- und Quarzgestein geführt werden musste. Die Fertigstellung des Tunnels erfolgte ein Jahr vor dem vereinbarten Termin, obwohl man den Durchbruch für undurchführbar gehalten hatte.

Auch auf dem Gebiete des Wasserbaues betätigte sich Favre mit Erfolg. In diese Zeit fallen die weitausholenden Anstrengungen für die Verwirklichung der Idee eines zentralen Alpenüberganges zur Verbindung von Nord und Süd. Das Zustandekommen der Brenner- und der Mont-Cenis-Bahn und die Bestrebungen zum Bau einer Lukmanier- und einer Simplonbahn rückten auch die Frage einer Gotthardbahn als Mittelweg der beiden letzteren, in den Vordergrund. Hauptgegenstand der Diskussion war bei der Gotthardbahn der mögliche oder eben unmögliche Durchstich,


Der Zusammenbruch im Tunnel von Louis Favre am 19.7.1879 Bild: VHS/SBB
denn noch fehlten ja grosse Erfahrungen und gute technische Hilfsmittel, um einen Tunnel von 15 bis 16 km Länge mit voraussichtlichem Erfolg zu durchbrechen. Am 5. April 1872 wurden die Bauarbeiten zur Konkurrenz ausgeschrieben. Von den 7 eingegangenen Offerten sind 2 wieder zurückgezogen worden, 3 fielen wegen ungenügenden Garantien ausser Betracht, sodass nur noch 2 Bewerber für die Uebernahme des Baues in Frage kamen: Louis Favre und die Sociètè italienne des travaux publics. Favres Angebot erhielt den Vorrang, weil der Uebernahmepreis von 55.854.600 Franken und die Bauzeit von 8 Jahren günstiger waren. Der Bauvertrag wurde mit Favre am 7. August 1872 abgeschlossen und in fünf Zusatzverträgen der Jahre 1875, 1877 und 1879 ergänzt oder geändert. Der Vertrag bestimmte unter anderem für jeden Tag früherer als vertraglich festgesetzter Vollendung eine Tagesprämie von 5000 Franken. Sobald die Verspätung mehr als sechs Monate betragen sollte, wurde die Strafe auf 10‘000 Franken täglich erhöht. Schon im Juni/Juli 1872 wurde mit der Erstellung von Zufahrtsstrassen, Maschinenhäusern, Werkstätten, Wohnungs- und Geschäftshäusern begonnen. Die Unternehmung liess sogar eine Schule errichten, in welcher die Kinder der Arbeiter unentgeltlich unterrichtet wurden. Die eigentlichen Tunnelarbeiten wurden auf der Südseite am 13. September 1872 und am 24. Oktober gleichen Jahres auf der Nordseite begonnen. Favre setzte die grössten Hoffnungen auf die Vervollkommung der beim Mont-Cenis-Tunnel gemachten technischen Erfindungen, besonders der Stossbohrmaschinen. Die Maschinenbohrung entstammt der Erfindung des Genfer Physikers Colladon, dessen Idee von Ingenieur Someiller, durch die Konstruktion von Gesteinsbohrmaschinen für den Mont-Cenis-Tunnel ausgewertet wurde.

Druckbohrmaschine, wie sie für den Tunnelbau am Gotthard verwendet wurde    Bild Chronik GB/VHS/SBB

Eine grosse Reihe verbesserter Systeme wurden im Gotthardtunnel ausprobiert und auch verwendet. Alfred Brandt, der spätere Erbauer des Simplontunnels, kam Mitte der siebziger Jahre als Ingenieur zu der Gotthardbahn und erhielt hier von Obering. Hellwag den Auftrag, die Favre'schen Installationen der mit komprimierter Luft getriebenen Stossbohrmaschinen in Airolo zu untersuchen und zu begutachten. Er machte auf die möglichen Verbesserungen aufmerksam und wies darauf hin, dass die Wasserkraft viel vorteilhafter direkt zum Treiben von Bohrmaschinen benützt werden könne.

Er arbeitete hierauf das Projekt einer hydraulischen Stossbohrmaschine aus, die aber so eingerichtet wurde, dass sie auch leicht als Rotationsbohrmaschine benutzt werden konnte. Mit dieser von Sulzer Winterthur im Jahre 1877 konstruierten Bohrmaschine wurden im Pfaffensprung-Tunnel grössere Versuche gemacht, die die günstigen Erwartungen bestätigten. Im grossen Tunnel kam aber diese Bohrmaschine nicht mehr zur Anwendung. Durch wachsende Erfahrungen, allerlei Verbesserungen und neue Einrichtungen hoffte Favre, den eingegangenen Vollendungstermin von 8 Jahren merklich kürzen zu können. Gegen Mitte des Jahres 1873 waren die Installationsarbeiten so weit fortgeschritten, dass auf beiden Seiten die Handbohrung durch die Maschinenbohrung ersetzt werden konnte. Die zunehmende Notwendigkeit rationeller und erfolgreicher Bekämpfung von Wassereinbrüchen, Wärme- und Rauchentwicklung im Tunnel verursachte der Unternehmung viel Kopfzerbrechen. Drohende Tunneleinbrüche, die zeitraubende Ausmauerungen erforderten, trugen wesentlich zur Verzögerung bei. Krankheiten, unter denen die sogenannte Mineurkrankheit (Wurmkrankheit) besonders hervortrat, sowie Unglücksfälle, die von Jahr zu Jahr zunahmen, schürten Unzufriedenheit und Begehrlichkeit unter den Arbeitern, was zu Arbeitsniederlegungen führte. Am 27./28. Juli 1875 kam es in Göschenen sogar zu Arbeiterunruhen, sodass Militär aufgeboten werden musste, das dann mit einem Steinhagel empfangen wurde. Erst nach dem Gebrauch der Schusswaffe konnte die Ruhe hergestellt werden. Einige Tote und Verwundete waren das Resultat des Aufstandes, wie aus einem Bericht des eidgenössischen Kommissärs Hold hervorgeht. Weitere Arbeitsstörungen verursachte auch der grosse Brand in Airolo vom 17. September 1877, durch den 198 Häuser eingeäschert worden waren. Alle diese Schwierigkeiten und andere mehr, trugen dazu bei, dass der vertraglich festgesetzte Bautermin vom 1. Oktober 1880 nicht eingehalten werden konnte und die Arbeiten sich noch das ganze Jahr 1881 hinzogen.

Leider erlebte Louis Favre den Durchschlag des Tunnels am 29. Februar 1880 nicht mehr. Am 19. Juli 1879 erlag Louis Favre, gut 53-jährig, im Gotthardtunnel an den Folgen eines Risses in der Bauch-Aorta. Der Tod ereilte den wagemutigen Unternehmer mitten in der Arbeit und 215 Tage vor dem Durchbruch. Am frühen Morgen, bei scheinbar guter Gesundheit, ist Favre in Begleitung eines Oberingenieurs der Lyon-Mittelmeerbahn und seines eigenen Oberingenieurs Stockalper ins Innere des Tunnels gefahren.


Eröffnungsfeierlichkeiten in Göschenen  Foto: VHS
Auf der Maschinenstation fühlte er sich plötzlich unwohl, setzte sich auf einen Stein, um kurz darauf tot zusammenzubrechen. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die traurige Nachricht über die ganze Welt und bald ruhte alle Arbeit im Tunnel, denn die Arbeiter trauerten um ihren Chef wie um einen Vater. Bis zum Schluss war er überzeugt, dass das Werk gelingen würde, selbst wenn er die vertragliche Rekordbauzeit von 8 Jahren nicht einhalten könnte. Am 29. Februar 1880 war er gleichwohl der „Erste“, der die Durchbruchstelle passierte, denn seine Photographie wurde von Ingenieur Lusser in einer Blechkapsel mit einer Widmung durch das Bohrloch durchgeschoben.

Arbeiterbude von Louis Favre 
Bild aus GB-Chronik/VHS/SBB

Besonders ehrend wurde Favres bei den Eröffnungsfeierlichkeiten der Gotthardbahn im Juni 1882 gedacht. Die dekorierte Maschinenhalle in Göschenen war mit einem lebensgrossen Brustbild Favres geschmückt. Eine Inschrift dazu lautete:

Blicke und lächle auf uns hernieder Louis Favre, an diesem Tage der Freude und des Ruhmes, den man hauptsächlich dir verdankt. Sei gegrüsst du herrlicher Sohn der Schweiz, gefallen auf dem Felde der Arbeit und der Ehre. Dein Name ist eingegraben in die Felsen des durchbrochenen Gotthard und im Andenken in den Herzen dreier dankbarer Völker“

Der Tunnelbau forderte ihren Tribut: 199 Tote oder mehr, unzählige Verunfallte und Erkrankte. Viele unter ihnen starben später. Doch all das hatte Favre nicht daran gehindert, stets vor Ort zu sein und mit seiner Belegschaft verbunden. Mineure, Schutterer und Ingenieure sahen im Chef einen der Ihren, und sie verehrten ihn.

Auch wenn wegen der 66.666.581 Millionen Franken hohen Baukosten Ende 1885 viel diskutiert und sogar ein Prozess geführt wurde, ist heute klar, dass Louis Favre zu den Männern gehört, die es verdienen, dass ihrer in Dankbarkeit und Verehrung gedacht wird.

Der Glanz in seinen Augen ist für immer erloschen.

Quellen

Männer der Schiene/1955 von E. Mathys
Das Erbe und die Erben von L. Favre von Hans G. Wägli
Verkehrshaus der Schweiz

Berichterstattung von HR Lüthy-Pavan
Gestaltung von Franz Straka
Jänner 2017