Pioniere der Bergbahnen: Dr. Ing. h.c. Roman Abt
Berichterstattung von HR. Lüthy-Pavan, Gestaltung von Franz Straka
Roman Abt wurde am 17. Juli 1850 im aargauischen Bünzen (Freiamt) geboren und fühlte sich nach dem Besuch der Bezirks- und Kantonsschule zur Technik hingezogen, sodass er sich am damaligen Polytechnikum von 1869 - 1872 in Zürich als Maschineningenieur diplomieren liess. In der Oltener Hauptwerkstätte der Schweizerischen Centralbahn fand er 1872 unter dem Erbauer der Rigibahn, Niklaus Riggenbach, sein erstes Wirkungsfeld als Konstrukteur. Am 1. April 1873 avancierte er bereits zum 2. Konstrukteur der Centralbahn (SCB). Zusammen mit Niklaus Riggenbach war Roman Abt in der Folge bei der Internationalen Gesellschaft für Bergbahnen in Aarau tätig ( 1875 – 1879 ). In diese Zeit fällt seine erste epochemachende Erfindung: die Hoteliersfamilie Hauser vom 1873-74 erbauten Grand-Hotel Giessbach am Brienzersee übertrug ihm die Projektierung einer Seilbahn vom Landesteg am Brienzersee hinauf zum Giessbachhotel. Bisher waren Standseilbahnen nur doppelspurig ausführbar gewesen, weil das Problem des Übergangs von der Einspur zur Doppelspur bei der Ausweiche am Kreuzungspunkt der beiden Wagen wegen des Seildurchlaufes nicht gelöst war. Roman Abt löste es genial einfach, indem er die beiden Seilbahnwagen je auf der entgegengesetzten Seite mit Rollenrädern ohne Spurkranz (innere Seite bei der Kreuzung) bzw. mit Rädern mit doppeltem Spurkranz (äussere Seite bei der Kreuzung) ausrüstete. Damit erreichte er eine Weichenkonstruktion ohne bewegliche Teile und den ungehinderten Durchlauf des Traktionsseiles.
geboren 17.7.1850 , gestorben 1.5.1933
Portrait des Bergbahnpioniers Dr. h.c. Roman Abt    "Bild aus "Der oeffentl. Verkehr 1965"

Die 345 m lange, über eine 174 m lange Stahlbrücke führende und 98 m Höhendifferenz überwindende Giessbachbahn konnte einspurig gebaut (eine Doppelspur hätte das Gelände gar nicht zugelassen), und am 21. Juli 1879 eröffnet werden. Sie ist somit die älteste noch aktive Standseilbahn Europas. Sie wurde zum Vorbild fast aller seither gebauten Standseilbahnanlagen nicht nur in der Schweiz, sondern weltweit - In allen 5 Erdteilen kennt man Abts Ideen. Die Vielfalt der Spurweiten bewegt sich von 600 – 1676 mm und Steigungen bis 255 ‰. 1879 – 1881 diente Roman Abt als Kontrollingenieur dem Eisenbahn- departement, um anschliessend als Oberingenieur und freier Unternehmer in Frankreich zu wirken. Hier gelang ihm am 15. August 1882 eine zweite geniale Leistung, die Weltruhm erlangen sollte: die Kombination von Adhäsions- und Zahnradbetrieb.

Sie ermöglichte erstmals, die selben Eisenbahnzüge sowohl auf Flachland- wie auf Gebirgsstrecken mit Zahnstangen verkehren zu lassen. Solche Bahnen nach „ System Abt“ wurden in Deutschland (Harzbahn in Braunschweig, die 1885 erbaute normalspurige Harzbahn erregte grosses Aufsehen in der Eisenbahnwelt) und bald in aller Welt gebaut. Am 5. Februar 1886 erhielt Roman Abt vom Verein Deutscher Eisenbahnverwaltungen den grossen Preis von 7500 Mark, was der Anwendung und Verbreitung des Systems seiner Zahnstange einen weiteren Impuls gab. Von den schweizerischen Linien sind insbesondere jene, die Bestandteil des grössten zusammenhängenden Schmalspurnetzes Europas bilden, nämlich die Zahnradstrecken der Furka-Oberlap-Bahn und der Brig-Visp-Zermatt-Bahn, mit der Abtschen Zahnstange ausgerüstet. Im Gegensatz zur Riggenbachschen Leiterzahnstange konstruierte Abt eine Lamellenzahnstange. Er ordnete zwei bis drei parallele Lamellen nebeneinander versetzt an, sodass stets ein Zahn komplett im Eingriff bleibt.

Damit erreichte er grössere Sicherheit, ruhigeren Zuglauf und grössere Zugkraft. Abt löste auch das Problem des Überganges von der Adhäsions- in die Zahnradstrecke, indem er vor die feste Zahnstange ein abgefedertes, vertikal bewegliches Zahnstangenstück legte und so dem Triebzahnrad der Lokomotive und den Bremszahnrädern der Wagen den Eingriff in die Zahnstange während der Fahrt ermöglichte. Ebenso konstruierte er die ersten brauchbaren Weichen für Zahnradbahnen, während die Riggenbachschen Anlagen sich vorher mit Schiebebühnen und Drehscheiben behelfen mussten (z. B. bei der Wiener Kahlenbergbahn). Es ist nicht übertrieben, zu behaupten, dass Roman Abt, auf den Ideen von Niklaus Riggenbach aufbauend, die Zahnradbahn erst tauglich für die Bahnen des allgemeinen Verkehrs gemacht und das Gebirge erschlossen hat, indem er ganzen Eisenbahnzügen die Ueberwindung kürzerer oder längerer Steilstrecken ermöglichte.


Die Abtsche Zahnstange, Dampfbetrieb bei der Furka-Oberalp-Bahn.
"Bild: aus "Der Oeffentliche Verkehr 1965"
Seine Erfindung wurde in der Folge allerdings auch auf Bahnlinien mit Riggenbachscher Zahnstange angewendet, in der Schweiz auf dem bedeutenden Schmalspurnetz der SBB (Brüniglinie) Hergiswil-Engelberg (LSE), Interlaken-Lauterbrunnen und Grindelwald (BOB). Roman Abt wurde in Fachkreisen hoch geschätzt. Die Technische Hochschule Hannover und die ETH Zürich verliehen ihm die Doktorwürde „honoris causa“. Er wurde in die Jury der Weltausstellungen 1889 und 1900 in Paris und der Landesausstellungen Italiens ( 1906 in Milano) und der Schweiz ( 1896 in Genf und 1914 in Bern) berufen. 1887 erwarb er in Luzern den historischen „Freyenhof“ (ehemals zwischen Jesuitenkirche und Stadttheater gelegen) und war dann von 1892 bis zu deren Verstaatlichung 1903 Verwaltungsratspräsident der Gotthardbahn.


Die Eisenstahlbrücke über die Giessbachfälle.
Foto: Giessbachbahn

Giessbachbahn, eröffnet 21.7.1879 - vor 130 Jahren - noch heute wird das Wunderwerk von Roman Abt bestaunt. Foto: Giessbachbahn

Ebenso war er Verwaltungsrat der Schweizerischen Industrie-Gesellschaft (SIG) Neuhausen und der Schweizerischen Lokomotiv- und Maschinenfabrik Winterthur (SLM). Seine Interessen erschöpften sich jedoch nicht in der Welt der Technik und des Verkehrs. Mit wachem Sinn verfolgte Dr. h.c. Roman Abt die Politik und gehörte einige Jahre dem grossen Stadtrad von Luzern an. Er hegte und pflegte eine vielseitige private Kunstsammlung, war Präsident der Kunstgesellschaft Luzern, Mitglied der Eidgenössischen Kunstkommission, der Landesmuseumkommission und Vorstandsmitglied des Deutschen Museums in München. 1878 war er Mitarbeiter am Handbuch für spezielle Eisenbahntechnik mit besonderem Abschnitt: Bergbahnen. Bis zum Jahre 1930 waren 72 Bergbahnen mit dem Abtschen Zahnstangensystem ausgerüstet. Durch sein Mitwirken wurden über 400 Lokomotiven nach Bauart „Abt“ gebaut. Obschon Dr. h.c. Abt auf seinem Fachgebiet Weltruhm erlangte und seine persönlichen Interessen weitgespannt waren, blieb er als Mensch bescheiden und anspruchslos. Er starb 83-jährig am 1. Mai 1933 nach einem erfüllten Leben in der „Gotthardbahnstadt“ Luzern. Roman Abt war einer der letzten Eisenbahnpioniere der alten Schule. Durch sein Werk hat er sich ein eigenes Denkmal gesetzt, das so lange andauern wird, solange die Eisenbahnen bestehen werden.

Quelle
E. Mathys: Männer der Schiene
Der Oeffentliche Verkehr Jahrg. 1965
Berichterstattung von HR Lüthy-Pavan
Gestaltung von Franz Straka
Oktober 2009