„KROKODILE“ in der Eisenbahngeschichte
Berichterstattung von Hans Rudi Lüthy-Pavan, Gestaltung von Franz Straka
In den Jahren 1919/1920 wurde das eisenbahntechnisch hochinteressante „Reptil“ der Eisenbahngeschichte, das Krokodil entwickelt Für den am 28. Mai 1922 durchgehend elektrischen Betrieb auf der Gotthardlinie standen die Be 4/6 (Personen- und Schnellzüge) und die Ce 6/8 II (für Güterzüge) zur Verfügung. Die formschöne Neukonstruktion der Schweizerischen Lokomotiv- und Maschinenfabrik Winterthur (SLM) und der Maschinenfabrik Oerlikon (MFO) mit der Achsfolge 1'CC1‘ war bald unter dem Spitznamen „ Krokodil “ gerne gesehen und zählt noch heute zu den bekanntesten Loktypen der Eisenbahnwelt. Es handelt sich um eine Bauart mit Drehgestell und Bissellaufachse an beiden Enden. Trafo, Stufenschalter und die beiden Führerstände sind im Mittelteil der Maschine untergebracht. Die vier Antriebsmotoren liegen direkt auf den Drehgestellten und in den langen Vorbauten. Die Blindwelle (mit Gegengewicht in den Triebstangen) gilt als besonderes Kennzeichen der Ce 6/8 II. Der eigentlich vorgesehene Schrägstangenantrieb für grosse Leistungen löste Bedenken aus, sodass dieser spezielle Antrieb für die Ce 6/8 II gewählt wurde. Das Dienstgewicht betrug 126 t(1. Serie) bzw. 128 t (2. Serie).

Seetal De 6/6 15302 in Hallwil Sommer 1963.
Foto: E. Suter

RhB Ge 4/4 Nummer 82 vor einem Bernina-Triebwagen Abe 4/4 Alp Grün aus dem Jahre 1956. Foto: H.R. Lüthy

1920-21 wurde die erste Serie mit 13 Exemplaren in Dienst gestellt. 1926 wurde die Bauserie mit der Ce 6/8 III weiterentwickelt. Die insgesamt 18 hergestellten Exemplare erhielten einen einfachen Schrägstangenantrieb. Als besondere Neuerung war bei diesem Typ eine elektrische Nutzstrombremse eingebaut. Die Bremsenergie wird über den Lokomotivtrafo ins Fahrleitungsnetz zurückgegeben. Insgesamt wurden 31 Ce 6/8 II gebaut. Die Serie 14251-14265 wurde zur Be 6/8 II mit stärkeren Motoren ausgebaut. (Die Höchstgeschwindigkeit erhöhte sich dadurch auf 75 km/h). 1926-27 erfolgte eine technische Weiterentwicklung der Ce 6/8 II zur Ce 6/8 III und war äusserlich leicht an einfachem Stangenantrieb erkennbar. Wegen der Höchstgeschwindigkeit von 75 km/h erfolgte die Umbezeichnung in Be 6/8 III.


RhB Ge 6/6 I 414 mit Pullmanzug bei Davos, August 1999. Foto: H.R. Lüthy

Ce 6/8 14253 (Depot Erstfeld) im bahnhof Wassen, Sommer 1974. Foto: H.R. Lüthy

Die Lokomotiven Ae 4/6 in den 1940 er Jahren bzw. Ae 6/6 ab 1954 verdrängten das „ Krokodil “ ins Flachland. 12 Lokomotiven wurden für den Rangierdienst in die grösseren Bahnhöfe Biel, Basel, Zürich, Winterthur, Schaffhausen, Buchs SG und St. Triphon hergerichtet (zum Teil mit separaten Plattformen). Die Ausmusterung der Lokomotiven begann 1968 . Zwei Maschinen gingen nach Deutschland ( Nr. 14267 nach Speyer und Nr. 14282 nach Sinsheim), die Nr. 13257 nach Österreich. Die Nr. 14270 wurde als Denkmallok nach Erstfeld verbracht und die Nr. 14276 zum Club San Gottardo nach Mendrisio. Die Ce 6/8 II 14253 – im braunen Anstrich – gehört heute der SBB Historic-Stiftung und ist jederzeit fahrbereit. Aus der Nachbauserie Ce 6/8 III ist die Nr. 14305 im Depot Basel (Lokgruppe SBB-Historic Olten) sowie Nr. 13302 als Eigentum des Modelleisbahnclub Horgen erhalten geblieben.




RhB Ge 6/6 I 405 und 409 im harten Winterdienst
1973 bei Davos. Foto: E. Suter

Doppeltraktion mit 2 Ce 6/8 Lokomotiven in Erstfeld im Jahre 1948. Man beachte auch den typischen Schrägdach-Güterwagen der FS. Foto: Slg. SVEA

Durch die Zeit wurden in verschiedenen Spurweiten Krokodile (Lokomotiven) von der Industrie geliefert.. Die Rhätische Bahn suchte für die in den Jahren 1919-1921 elektrifizierten Strecken des grossen Schmalspurnetzes von Graubünden einen kräftigen Lokomotivtyp. Die SLM Winterthur und BBC Baden entwickelten für den schweren Rampendienst eine 6-achsige, laufachslose Lokomotive mit der Achsfolge C'C‘, welche sich an die normalspurige De 6/6 bzw. Cer 6/8 II der SBB anlehnte. Die 65,9 t schweren Maschinen wurden mit zwei Fahrmotoren ausgestattet. Jeder dieser beiden schnell laufenden Einphasen-Serienmotoren trieb über ein Zahnradgetriebe eine Blindwelle an. Von der Blindwelle ging die Triebstange zur jeweils inneren Kuppelachse, die übrigen Achsen wurden über Kuppelstangen angetrieben. Beide Motoren entwickelten zusätzlich eine Leistung am Rad von 1200 PS. 1921 wurden diese Ge 6/6 I Nr. 401 – 406 ausgeliefert. Die weiteren der insgesamt 15 bestellten Maschinen trafen 1922 (Nrn. 407-410), 1925 (Nrn. 411-412) und 1929 (Nrn. 413-415) ein. Die Lok Ge 6/6 I Nr. 402 ist heute im Verkehrshaus der Schweiz in Luzern ausgestellt, während die Lok 407 als Wahrzeichen des Albulabahnbetriebes in Bergün als Denkmal aufgestellt ist. Das braune RhB-Krokodil ist nur noch in zwei Exemplaren (Lok 414 und 415) erhalten geblieben und wird öfters mit dem schönen Pullmann-Wagen eingesetzt. Das im Jahre 2005 in blauer Farbe für das Jubiläum „75 Jahre Glacier-Express“ gezeigte RhB-Krokodil Ge 6/6 I Nr. 412 erlitt am 11. März 2008 einen Getriebeschaden, musste ausrangiert werden und dient nur mehr als Ersatzteillager.


Ge 2/2 49 der Appenzellerbahn 1965. Foto: H.R. Lüthy

Bei der Bernina-Bahn wurde am 10. Februar 1928 ein weiteres „ RhB-Krokodil “, in der Absicht, die geplanten Schnellzüge mit Speisewagen der Mitropa zu führen in Dienst gestellt. Die Ge 4/4 Nr. 82 (SLM Winterthur/SAAS Genf, Höchstge- schwindigkeit 45 km/h) wurde 1946 von der RhB übernommen. Die als Lok Nr. 182 bezeichnete Maschine blieb bis 1977 in Dienst und wurde darauf ausrangiert.

Für drei Jahre landete sie im Verkehrshaus der Schweiz (Krokodil-Ausstellung), ging dann zurück zur RhB und wurde 1984 an einen privaten Sammler verkauft, der das „Krokodil“ auf dem Schmalspurnetz der St. Georges-La Mure-Bahn einsetzten wollte. Davon wurde jedoch aus unterschiedlichen Gründen Abstand genommen und das Krokodil landete am Abstellgleis, bisder „Club 1889“ mit engagierten Eisenbahnern (Depot Samedan und Poschiavo) schliesslich das „RhB-Krokodil“ im Jahre 1999 zur RhB zurückholte, wo es nun liebevoll in unzähligen Stunden aufgearbeitet wird. Es soll ab Sommer 2009 wieder zum Einsatz gelangen.

Ein kleines „ RhB-Krokodil “ mit dem liebevollen Spitznamen „Eselchen“ stellte die 1911 in Betrieb gesetzte Baureihe Ge 2/2 61-62 (später 161-162). Auf der Bernina-Linie wurden damit der Rangierdienst in Poschiavo und kleine Gütertransporte durchgeführt. Bei der Übernahme der Seetalbahn durch die SBB auf den 1. Januar 1922 zeigte sich der Bedarf nach drei Güterzuglokomotiven. Man entschloss sich, in Anlehnung an die Ed 3/3-Rangierlok, Maschinen des Typs De 6/6 zu bestellen.


Werkbild OERLIKON der ersten Ce 6/8 Einsätze auf der Nordrampe der Gotthardlinie.
Foto: VHS / Slg.SVEA
Dabei handelte es sich um zwei Rücken an Rücken gekuppelte Ee 3/3-Lokomotiven („Halbschuhe“). Diese wurden mit einer Brücke über den Drehgestellen verbunden worin die Führerstände und der Trafo untergebracht waren. Der Auftrag ging an die SLM Winterthur und die BBC Baden, welche die De 6/6 Lokomotiven im Frühling 1926 mit den Nrn. 15301 – 15303 (73 t schwer; 1.170 PS; 50 km/h) anlieferten. Schon bald erhielten sie den Spitznamen „ Seetal-Krokodil “. Alle drei waren von Anfang an umschaltbar vom Seetalbahn-Stromsystem 5.500 V/25 Hz auf das übrige SBB-System mit 1.5000 V/16 2/3 Hz. Ab 1929/1930 waren laut Dienstplan zwei dieser De 6/6-Maschinen im Seetal eingesetzt und kamen bis 1950 kaum aus dem Seetal heraus. Aus dem Dienstplan 1969 ist ersichtlich, dass alle drei Maschinen im Güterzugsdienst zwischen Wildegg und Luzern im Einsatz gestanden haben.

Ge 4/4 der verkehrsbetriebe Schaffhausen bei der Arbeit. Foto: Slg.SVEA

Ge 4/4 Nummer 7 der Frauenfeld-Will-Bahn am 24.08.1962 Station Wängl. Foto: H.R. Lüthy

Beachtenswert sind auch Personenzüge, die mit dem „ Seetal-Krokodil “ geführt wurden. Allerdings hatten sich die Fahrgäste mit der Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h abzufinden. Die SBB entschloss sich schon Anfang der 70er Jahre, die drei De 6/6-Lokomotiven 15301 – 15303 auszurangieren. Es dauerte jedoch noch bis ins Jahr 1983, bis die drei in relativ kurzen Abständen von drei Monaten ausrangiert wurden. 1983 verkaufte die SBB die Lok Nr. 15301 an die Önsingen-Balsthal-Bahn, während die anderen beiden (15302-15303) verschrottet wurden. So stand das zumindest ein „ Seetal-Krokodil“ im Güterzugsdienst zwischen Önsingen und Balsthal im Einsatz. Nach 57 Jahren bei den SBB und 12 Jahren Güterverkehr bei der ÖBB (Österreichische Bundesbahnen) wurde sie am 27. September 1991 im Depot Balsthal abgestellt. Die „Arbeitsgruppe 15301“ „erweckte sie wieder zu neuem Leben“ weshalb sie seit 21. August 2007 wieder betriebsfähig ist und im Depot SBB Brugg gewartet wird. Auch für Sonderfahrten, wie z.Bsp. im Oktober 2008 beim Bahntreff in Bauma, wird sie eingesetzt.


RhB Ge 2/2 Nummer 61 (Baujahr 1911) als "Eselchen" betitelt, aber doch gemäss vorbei einen krokodilartigen Charakter. Foto: SVEA

Ein weiterer „Verwandter der Krokodile “ waren die Ee 6/6-Rangierloks Nrn. 16801-16802 mit dem Baujahr 1952 (90 t schwer; 1.370 PS Leistung) bei der SBB, welche jedoch schon nach einiger Zeit ausgemustert und verschrottet wurden. Ein weiteres Krokodil war bei der Frauenfeld-Will-Bahn im Einsatz. Die Ge 4/4-Güterzuglok Nr. 7 (Baujahr 1921; SWS/MFO; 360 PS Leistung; Höchstgeschwindigkeit bis 1926 35 km/h, dann 45 km/h) wurde für Getreide- und andere Güterzüge zwischen Wil und Frauenfeld herangezogen.

Nach dem Umbau konnte sie für Personenzüge eingesetzt werden. Von der gleichen Bauart ist die sogenannte Werklok Ge 4/4 der Verkehrsbetriebe Schaffhausen (VBSch), welche bis zum 6.März 1970 den Güterverkehr (Zubringerdienst) in den ausgedehnten Industrieanlagen um die Stadt Schaffhausen durchführte. Für die Giessereien der Firma +GF+ war diese Lokgattung öfters mit Rollschemeln und schwer beladenen Normalspur-Güterwagen unterwegs. Nach der Betriebseinstellung der Straßenbahnlinie (Tramlinie) wurde die Lok wurde an die Schmalspurgruppe SNB/OJB/RVO verkauft (SNB Ge 4/4 Nr. 57). Ein gleicher Maschinentyp ist die Ge 4/4 Nr. 75 ex +GF+-Werklok bei der Museumsbahn Blonay-Chamby. Die Langenthal-Melchnau-Bahn (LMB) beschaffte zur Betriebseröffnung 1917 eine Ge 4/4 Nr. 56 (später Nr. 126) des Erbauers SIG/BBC (20 t; 45-50 km/h; ab einer Revision 1964 mit neuen Getrieben nur mehr 35 km/h) für eine effektivere Abwicklung des Güterverkehrs. Neben verschiedenen Farbanstrichen hat diese Lokomotive über Jahre gute Dienste geleistet und steht heute im Depot Langenthal für zur Verfügung. Der gleiche Gütertriebwagentyp Ce 4/4 Nr. 1012 (Baujahr 1952)ist auch bei der GFM (Chemins-de-fer Fribourgeois Gruyère-Bulle-Fribourg-Morat) in Betrieb gestanden. Auch die Wynen- und Suhrentalbahn hatte die Kategoerie Te 2/2 mit sogenannten Vorbauten.

Das „Kokodil“ der BVZ (Brig-Visp-Zermatt-Bahn; heute Matterhorn-Gotthard-Bahn) hat ebenfalls mit der Elektrifizierung im Jahre 1929 mit den HGe 4/4 Nrn. 11 – 15 (Einphasen-Wechselstrom-Triebfahrzeuge für eine gemischte Adhäsions- und Zahnradbetrieb) einen Platz gefunden. Mit diesen „ BVZ-Krokodilen“ wurden ab Sommer 1930 die Glacier-Express-Züge von und nach Zermatt geführt. Ein Exemplar dieses Loktyps ist noch für Nostalgiezüge vorhanden. Ein krokodilähnliches Gefährt finden wir bei der Yverdon-Ste. Croix-Bahn, die seit 1945 elektrisch betrieben wird. Für den Güterzugbetrieb wurde im Jahre 1950 eine Ge 4/4 Nr. 21 angeschafft. Eine ganz ähnliche Bauart hatte die Be 4/4 Nr. 1 der RVT (Régional Val du Travers).


Ce 6/8 mit Personenzug im Jahre 1954 im Bahnhof Aarau. Foto: H.R. Lüthy

Ge 4/4 126 Aare-Seeland-Mobil ex Soloth.
Niederbipp-Bahn, abgestellt im Bahnhof Langenthal, 24.2.2009, Foto: H.R. Lüthy


BVZ-Krokodil HGe 4/4 12 mit RhB-Pullmannwagen als Glacier-Spezial noch in der Talsohle zwischen Visp und Stalden 2002. Foto: P. Lüthy RhB

Es gibt in der Schweiz noch weitere Lokomotiven, die einen „krokodilähnlichen Vorbau“ aufweisen. In der Ostschweiz treffen wir die Ge 2/2 Nr. 49 (später Te 2/2 49) für den Bahndienst (heute zum Dienstfahrzeug Xe 2/2 149 umbenannt). Im Jahre 1955 wurde die kleine Güterzuglok in den eigenen Depotwerkstätten der Appenzeller-Bahn umgebaut.

Auch in Österreich treffen wir einen ganz speziellen „ Krokodil“- Lokbau, das sogenannte „ Arlberg-Krokodil ". Von den für die Arlberg-Linie vorgesehenen elektrischen Lokomotiven wurde von Anfang an eine große Leistung gefordert. Unter den verschiedenen österreichischen Konstruktionsentwürfen gelangte jener der Wiener Lokomotivfabrik Floridsdorf zur Ausführung. Das Modell war sehr stark an die Ce 6/8-Lok der SBB angelehnt.



Das österreichische Krokodil in der Schweiz.
Foto: H.R. Lüthy
Abgeliefert wurden die österreichischen „ Krokodile“ als Reihe 1100 und 1100.100 in den Jahren 1923 und 24 ( 115,6 t; 70 km/h; 7 Lokeinheiten). Die Serie 1189
(1926/27; 75 km/h; 9 Einheiten) wurde vorwiegend für den anspruchsvollen Bergdienst auf der Arlberg- und Brennerlinie eingesetzt. Ab den fünfziger Jahren wurden sie auch auf der Salzkammergutlinie bis Ende der 1970er-Jahre eingesetzt.
Eine erste Lok schied 1944 durch Kriegseinwirkungen aus. Die 1089er sind seit 1978 vollzählig ausgeschieden, während von der 1189er-Serie im Mai 1979 noch drei einsatzfähig und in Attnang-Puchheim stationiert waren. Die Lok 1089.06 wurde am 14. September 1978 in Buchs SG (Grenzbahnhof) der SBB im Austausch gegen eine ausrangierte Be 6/(8 Nr. 13257 ( Gotthard-Krokodil )übergeben. Binnen drei Jahren konnte man die 1089.06 im Verkehrshaus der Schweiz besichtigen.
Quellen

SBB-Nachrichtenblätter/Lokverzeichnis SBB
Loki Nr. 2/2009, Eisenbahn-Amateure div.
Die Fahrzeuge der RhB „Lokmaterial“ von Schweers + Wall
SVEA-Fotoarchiv

Berichterstattung von Hans Rudi Lüthy-Pavan
Gestaltung von Franz Straka
Jänner 2011