Ed ¾ 51 – eine besondere Freundschaft zu einer Dampflokomotive
Berichterstattung von Hans Rudi Lüthy-Pavan, Gestaltung von Franz Straka

Ein Bericht über eine ganz persönliche Beziehung zwischen Hans-Rudolf Lüthy-Pavan und dem Dampfbetrieb.


Ed ¾ Nummer 51 im Werksgelände der Cementfabrik Holderbank-Wildegg AG, Oktober 1962
Foto: H.R. Lüthy
Eine Dampflokomotive in Aktion zu sehen, das blieb aus meiner frühen Jugendzeit erhalten, als ich nur wenige 100 Meter vom Lokdepot (Remise) Aarau aufgewachsen bin. In den Nachkriegsjahren wurden hier A 3/5 und Eb 3/5-Dampflokomotiven gewartet, es wurde Wasser eingefüllt und mit dem Kran die Tender mir Kohlen bestückt. Ich höre noch heute das Knarren des alten Krans. So zog es mich schon als kleiner Knabe von zu Hause fort, wenn der herrliche Duft von verbrannten Briketts ins Wohnquartier geblasen wurde. Die Lokführer und Heizer waren ganz „tolle Typen“, die mich über ihre Arbeit bestens informierten. Es gab manchmal sogar Gelegenheiten in ein Führerhaus zu steigen und so die Nähe des Feuers zu spüren. Dies waren für mich ganz besondere Erlebnisse, die mich für das Interesse zur Eisenbahn, aber im Besonderen zu den Dampflokomotiven prägten. So gab es auch Momente wo ich die Zeit total vergaß und mich nicht auf den Heimweg begeben wollte, bis mich mein Vater an den Ohren nach Hause ziehen musste. Die Strafe danach war hart, denn oft durfte ich zwei Tage nicht mehr zu „meinen Dampfloks“. Mit der Elektrifizierung Ende der 1940er auf den Linien Aarau – Wettingen und Aarau – Zofingen war die „Liebschaft“ zu den Dampfloks ohnehin zu Ende. Die „Stangen-Loks“ Ae 3/6 II waren wohl auch interessante Maschinen, konnten mich aber nicht so begeistern wie die Dampflokomotiven.
Mit Volldampf zum SBB-Bahnhof Wildegg am 24.10.1962. Foto: H.R. Lüthy
Ed ¾ mit den typischen Cementwagen am 24.10.1962. Foto: H.R. Lüthy
Als ich in späteren Jahren die Dampftraktion bei der Sursee-Triengen-Bahn erkundete, führte ich an Wochenenden öfters Radtouren von Aarau nach Triengen durch. Auch die beiden Dampflokomotiven der Zementfabrik Holderbank-Wildegg AG zogen mich in ihren Bann. Während meiner Lehre bei einer Versicherungsagentur bot sich die Gelegenheit an Werktagen die Gütertransporte mit den beiden Dampflokomotiven zwischen der Fabrik in Holderbank auf der Steilrampe zum SBB-Bahnhof Wildegg zu besuchen. Paul Ritz, der seit 1927 im Dienst der Zementfabrik und seit 1930 als Lokführer wirkte, fand in der Pause Zeit, mich über „seine Cholis“ zu informieren.

Ruhepause im Werkareal für die erste Werklok E 3/3 ex Seetalbahn. Foto: H.R. Lüthy
Die E 3/3 Nr. 1, mit Baujahr 1884 , Krauss & Co. München (ursprünglich als Nr. 3 an die Seetalbahn gelieferte) kam 1912 zur Zementfabrik Holderbank-Wildegg und führte vorerst den gesamten Werkdienst durch. Als die Zementtransporte stets größer wurden sah sich die Fabrik um eine stärkere Dampflok um und fand 1932 die Ed ¾ Nr. 51 (Baujahr 1906 ; Schweizerische Lokomotiv- und Maschinenfabrik Winterthur; Naßdampf-Tenderlok; Achsfolge 1'C; Bauart Mogul) von der Bern-Schwarzenburg-Bahn.
Sie war bestens geeignet die Güterzüge auf der Steilrampe zum Bahnhof Wildegg zu befördern. Ausgerüstet mit einem mobilen Tonbandgerät gelangen mir in den Sechzigerjahren einige Aufnahmen sowie verschiedene Fotos. Mit der Anschaffung einer Dieselverschublok (Em 2/2 Kronenberg, Luzern) im Jahre 1956 wurde die alte Seetalerlokomotive E 3/3 Nr. 1 im Jahre 1962 ausgemustert und als Denkmal auf dem benachbarten Kinderspielplatz gestellt. Erst 1987 wurde sie vom Denkmalsockel auf dem Kinderspielplatz geholt und durch den Verein „Historische Seethalbahn“ restauriert wurde. Im neuen grünen Kleid stand sie im April 1995 als E 3/3 Nr. 3 „BEINWYL“ wieder fest auf den Schienen (Seit Sommer 1995 zusammen mit dem F 2 17463 der ehemaligen Jura-Simplon-Bahn als Barwagen und einem AB 4ü der Seetallinie).
Mitte der 1960er Jahre kam die Em 3/3 Kronenberg, Luzern, welche anfänglich noch mit der Ed ¾ Nr. 51 ihren Dienst versah. Die SLM Winterthur führte 1955 noch eine Revision (u.a. mit Ersatz der Feuerbüchswand und einer Neuberohrung des Kessels) durch. Im Jahre 1967 wurde die Lok Nr. 51 immer weniger benutzt, und ihm Depot wurde der Platz neben den Dieselloks knapp.Eines Tages erhielt ich einen Telefonanruf vom Lokführer Paul Ritz, die Dampflok Nr. 51 sei wegen eines Feuerbüchsschadens oder Kesselrisses ausser Dienst gestellt worden und sollte sofort ausrangiert (ausgemustert) bzw. verschrottet werden.

Werkbild der Cementfabrik Holderbank Wildegg.
Foto: H.R. Lüthy
Da läuteten bei mir die Alarmglocken denn in diese Dampflok war ich so verliebt! Aber keine Angst für meine Ehegattin! Ich hatte die Lok so lieb gewonnen, dass ich „ihr Ableben“ nicht so ohne weiteres entgegennehmen konnte und setzte mich mit Direktor Lenzin, ebenfalls wohnhaft in Aarau, in Verbindung. Er erklärte mir, dass ein Schrottpreis von 5.000.- Franken geboten wurde. Wenn ich ihm innerhalb von zwei bis drei Wochen den Betrag überbringen könne, dann gehöre die Lok mir! In unserem Garten zu Hause hatte es aber für den „Choli“ zu wenig Platz!

Ed 3/4 51 ex BSB vor dem Depot Burgdorf DBB am 12.7.2008, als die Lok wieder eingeheizt wurde.
Foto: Th. Erzinger/DBB


Ae 4/ vor Ed 3/5 51 auf dem Bahnhof Wildegg. Foto: H.R. Lüthy
Da liess ich alle meine Verbindungen spielen. Ein bekannter Redakteur bei „Der Bund“ schrieb in einem Artikel, dass man eine solche Lokomotive doch nicht einfach verschrotten könne, denn sie sei für unsere Nachwelt ein bedeutungsvolles Objekt mit dem typischen SLM-Lokbau. Besonders im Kanton Bern, wo die Dampflok von 1906 – 1932 (Elektrifizierung Bern-Schwarzenburg 1920 ) in Betrieb gestanden hatte, sollte es doch eine Möglichkeit geben, die Lokomotive, wenigstens als Denkmal, zu erhalten. Der Kontakt mit der Bürgergemeinde Wahlern-Schwarzenburg brachte schlussendlich den entscheidenden Erfolg. Man hatte einige Sponsoren gefunden und ich konnte dem Direktor die Rettung der Lok Nr. 51 mit großer Freude bekannt geben. Unter Beteiligung der SBB und der BLS wurde die Ed ¾ Nr. 51 nach Bern geschleppt und einstweilen in einer Remise untergebracht. 1970 bildete sich in Schwarzenburg ein Initiativkomitee mit dem Ziel, die Lok Nr. 51 in ihre alte Heimat zurückzuholen.

Oktober 1962, als der Betrieb im Werkgelände noch voll mit der Dampflok abgewickelt wurde.
Foto: H.R. Lüthy
Die Maschine wurde dafür „gekauft“, revidiert und gründlich bearbeitet, sodass sie am Bahnhof Schwarzenburg im Juni 1972 als Denkmallok aufgestellt werden konnte. Der „Verein Dampflok 51 Schwarzenburg“ hatte unzählige Stunden aufgewendet, die Lok bestmöglich vor Korrosionsschäden zu bewahren. Mit Erfolg, galt doch diese Denkmallok weit herum als eine der besterhaltenen Maschinen ihrer Type. So kam es immer wieder vor, dass Passanten angesichts des mustergültigen Zustandes der Lok fragten, wann sie denn das nächste Mal fahren würde. Die Umgestaltung des Bahnhofplatzes in Schwarzenburg und das Jubiläum „100 Jahre Bern-Schwarzenburg-Bahn“ im Jahre 2007 war der ideale Anlass, die alten Dampfzeiten für die Ed 3/4 Nr. 51 wieder aufleben zu lassen. Von Anfang an war klar, dass der Verein Dampflok 51 allein nicht in der Lage war, die Dampflokomotive zu renovieren und zu betreiben.
Mit dem Verein „Dampfbahn-Bern (DBB) fand sich deshalb der ideale Partner und so entstand bald ein konkretes Projekt zur Aufarbeitung der Dampflokomotive. Seit dem 18. Juli 1998 steht die Lok 51 nicht mehr an ihrem angestammten Denkmalplatz, sondern im DBB-Depot Burgdorf.

Mit Volldampf an der Arbeit. Foto: H.R. Lüthy
Die im Jahre 1970 gegründete DBB betreibt insgesamt sechs Dampflokomotiven. In Mühevoller Arbeit wird das Rollmaterial fachmännisch betreut und erhalten. Im Depot Burgdorf unterstützt ein Arbeitslosenprojekt des Vereins „Futura Emmental“ die Tätigkeiten des Klubs. Während den Revisionsarbeiten rief mich ein DBB-Mitglied an, ob ich noch wisse, aus welchem Grunde die Dampflok ausrangiert worden sei, denn die Feuerbüchse sei noch in tadellosem Zustand.
In vielen Einzelteilen wurde die Lok 51 zerlegt und in unzähligen Arbeitsstunden wieder zusammengebaut. Für das 100-Jahr-Jubiläum „Bern-Schwarzenburg-Bahn“ im Jahre 2007 reichte jedoch leider die Zeit nicht. Nach über 40 Jahren „Dampfabstinenz“ konnte die Lok Ed ¾ Nr. 51 erstmals am 12. Juli 2008 wieder unter Dampf genommen werden. Im Areal des Depots West in Burgdorf machte sie ihre ersten Rollversuche und am 30. August 2008 fand die erste größere Probefahrt mit einem Extrazug zu 30 km/h von Burgdorf nach Wasen im Emmental statt. Die „alte Schwarzenburgerin“ wird auch im Jahre 2009 für den Dampfbahn-Verein Bern im Einsatz stehen.






Ed 3/4 51 ex BSB im Areal der Cementfabrik Holderbank-Wildegg AG am 18.10.1962.
Foto: H.R. Lüthy


Gesamtaufnahme aller Werkslokomotiven der Cementfabrik Holderbank-Wildegg AG, 1960. Links die E 3/3 ex Seetalbahnlokomotive (Baujahr 1882, KraussCie. München, Mitte: Em 2/2 Nummer 1 Baujahr 1960, (Kronenberg Luzern) Rechts: Ed 3/4 51 ex BSB (Baujahr 1906, SLM Winterthur), davor Lokführer P.Ritz, Holderbank, der über 30 Jahre die Dampflokomotiven betreute. Foto: M. Ritz/Slg. SVEA
Ich schätze mich sehr glücklich, dass „meine“ geliebte Dampflok Ed ¾ Nr. 51 ein zweites Leben bekommen hat und damit zu mir selber Parallelen zu meinem zweiten Leben zieht, das ich mit der Nierentransplantation zu Weihnachten 1991 geschenkt erhielt.
Quellen

Die Werkbahn der Cementfabrik Holderbank-Wildegg AG von H.R. Lüthy
Angaben vom „Verein Dampflok 51 Schwarzenburg“
Diverse Details aus dem Moser-Buch „Dampfbetrieb der Schweizer Bahnen“

Weitere Aktivitäten der Dampflok sind unter www.dampflok51.ch im Internet erhältlich.

Berichterstattung von Hans Rudi Lüthy-Pavan
Gestaltung von Franz Straka
Mai 2010