Glaskastendampf und Dampftriebwagen im Sensetal (Schweiz)
Berichterstattung von Hansrudi Lüthy-Pavan, Gestaltung Franz Straka

Das Tal der „Sense“ war schon vor Jahrhunderten bekannt. Das Städtchen Laupen, mit dem auf einer Anhöhe stehenden alten Schloss wurde durch die Schlacht bei Laupen im Jahre 1339 bekannt. Der Burgunder- und Bauernkrieg gehört ebenfalls in diese Region. Bevor die 11,234 km lange Sensetalbahn (STB) am 23. Januar 1904 ihren Bahnbetrieb eröffnen konnte, gab es seitens der Gegner einigen Aufstand. Von Flamatt über Laupen nach Gümmenen führte die STB-Strecke und verband die beiden Hauptlinien Bern-Fribourg (SBB) und Bern-Neuenburg (BN/BLS).


Ed 2/2 Nummer 2 der Cementfabrik R. Vigier AG Reuchenett. Foto: E. Suter
Die Einnahmen entsprachen nicht den Erwartungen und die beiden Dampflokomotiven Ed ¾ 31 und 32 waren zu schwerfällig für diesen Bahnbetrieb. Man suchte deshalb nach besser geeigneten Lösungen und holte sogar Angebote für die Elektrifizierung ein. Im Jahre 1906 verkaufte die SBB einen neuen Dampftriebwagen an die Ürikon-Bauma-Bahn. Diese Art von „Triebfahrzeugen“ war den Leuten der STB „ins Auge gestochen“. Der Personenverkehr hätte damit wohl bewältigt werden können, aber der stetig wachsende Güterverkehr auf der Strecke mit bis zu 32 ‰ Steigungen gab der sogenannten „Motorlokomotive“ bzw. dem „Dampfmotor“ für leichten Omnibusbetrieb (laut Firmenkatalog)den Vorzug.

Dampftriebwagen Cm 1/2 Nummer 1 (Baujahr 1908) der Sensetalbahn (ab 1927 CFm 1/2), wurde 1946 ausrangiert (ausgemustert). Slg. SVEA

Ed 2/2 Nummer 22 an der Arbeit. mit Personenwagen ohne Plattform, ca. 1935. Slg. SVEA
Die Dampflokomotive wurde im Volksmund aufgrund der vielen Fenster „Glaskasten“ genannt. Es konnte auch der Heizer eingespart werden, da nur noch ein Mann zur Bedienung der Maschine notwendig war. Die ersten Typen dieser Gattung baute Krauss & Cie. in München (Baujahr 1905). Bei der Firma Krauss & Cie. in München bestellte die Sensetalbahn im Jahre 1909 den „Glaskasten“, mit der Bezeichnung Ed 2/2 Nr. 21, (17,8 t Leergewicht; 6,99 m Länge; 45 km/h; Preis 36.000.-- Franken) welcher am 30. April 1910 geliefert wurde.

Glaskasten Ed "7" Nummer 23 bei Rangierarbeiten in Laupen ca. 1923. Slg. SVEA

Glaskasten - Parade in Laupen Ed 2/2 Nummer 21, 22 und 23. Man sieht den Unterschied der konstruktion zwischen Krauss & Cie und SLM. Foto: Slg. SVEA

Er bewährte sich derart, dass man die schwerfällige Dampflok Ed ¾ Nr. 31 an die Porrentruy-Bonfol-Bahn verkaufen konnte. Eine zweite „Glaskastenlok“ mit der Bezeichnung Ed 2/2 Nr. 22 wurde am 8. Mai 1911 in Betrieb genommen. 1916 wurde auch die zweite Dampflok Ed 34/4 Nr. 32 nach Frankreich verkauft. Für die Erweiterung des Triebfahrzeugparkes bestellte man bei der Schweizer Lokomotiv- und Maschinenfabrik Winterthur (SLM) eine dritte „Glaskastenlok“ Ed 2/2 Nr. 23 (19,5 t Leergewicht; 7,04 m Länge, 45 km/h; Preis 41.600.-- Franken). Die 1917 gebaute Lok Nr. 23 für die Schweiz war ohne Blindwelle ausgerüstet (Bei den deutschen „Glaskästen“ gab es Maschinen mit und ohne Blindwelle.).


Glaskasten Ed 2/2 Nummer 21 CFZ 4 602, C 572 und CF 501 in Laupen ca. 1923. Foto: Slg. SVEA

Glaskasten Ed 2/2 Nummer 22 am 16.1.1955. Deutlich ist das ovale Fabriksschild von Krauss & Cie. München ersichtlich. Foto: Slg. SVEA

Um den Fahrdienst zu erleichtern wurde 1921 ein Kittel-Dampftriebwagen von der Preussisch-königlichen Militäreisenbahn Berlin-Zossen (Baujahr 1908)erworben. In der Maschinenfabrik Esslingen, Württemberg, wurde der Triebwagen revidiert und kam als Cm ½ Nr. 1 (11,512 m Länge; 23,2 t Leergewicht; 45 km/h) ca. 1922 zur Sensetalbahn . Die Heißdampfmaschine arbeitete mit Flachschiebern. Der Schmidt-Ueberhitzer war in der Rauchkammer des stehenden Kessels eingebaut. Durch den Einbau eines Gepäckabteils entstand der CFm ½ Nr. 1. Er trug den Kosenamen „Berliner Kutsche“. Sein Einsatz war jedoch von kurzer Dauer, denn bereits 1928 wurde er aufgrund seiner schwachen Leistung außer Dienst gestellt. Probefahrten bei der Bulle-Romont-Bahn zeigten auch keine Erfolge. Im Jahre 1938 fand der CFm ½ ein neues Zuhause bei der Régional Val de Travers, wo er 1946 „altershalber“ ausgeschieden wurde. Der Dampftriebwagen der Sensetalbahn war ein ähnlicher Typ wie der bei der Uerikon-Bauma-Bahn im Betrieb gestandenen Dampftriebwagen, welcher heute im Depot Zürich von Lokführern gehegt und gepflegt wird, sodass man mit ihm noch Nostalgiefahrten auf dem früheren Einsatzgebiet der Uerikon-Bauma-Bahn organsieren kann. Leider brachten auch die leichten „Glaskasten“-Dampflokomotiven die STB nicht aus den roten Zahlen. Weil die Kohlenpreise enorm angestiegen waren überlegte man sogar die Maschinen auf Benzinantrieb umzurüsten, wie dies die Dampfschiffahrtsgesellschaft auf dem Greifensee gemacht hatte. Aus dem Umbau wurde jedoch nichts.


Glaskasten Ed 2/2 Nummer 2 der Cementfabrik R. Vigier AG Reuchenett, ex SeTB Ed 2/2 Nummer 23, ex UeBB Nummer 23 bis 1950, 1961 ausrangiert (ausgemustert). Foto: E. Suter
Auch die Versuche mit einem Sulzer-Dieseltriebfahrzeug von der Val de Travers-Bahn oder einem Austro-Daimler-Triebwagen brachten eine Lösung. Daher wurde bereits über die Elektrifizierung oder sogar über die Stillegung der Bahn gesprochen. Nach verschiedenen Abklärungen wurde unter Beteiligung der Anliegergemeinden und des Kantons Bern entschieden ab 30. Januar 1938 mit modernen Triebwagen die Strecke zu betreiben. Die „Glaskasten“ Nummer 21 und 22 verblieben als Reservemaschinen bei der STB, während die Ed 2/2 Nummer 23 als
Probelokomotive zur Ürikon-Bauma-Bahn wechselte, die 1939 die Lokomotive kauften. 1950 wurde sie als Werklokomotive an die Zementfabrik R. Vigier AG in Reuchenett mit der Bezeichnung Ed 2/2 Nummer 2 weiterverkauft. Die Nummer 21 und 22 waren Ende der 1950er Jahre bereits ausrangiert und für die Werkmaschinen wurden Ende 1961 verschrottet.

Glaskasten Ed 2/2 Nummer 21 mit Personenzugkomposition vor der grossartigen Kulisse des Schloss Laupen, ca. 1925. Foto: VHS/Slg. SVEA

Bahnhof Laupen ca. 1923. Glaskasten Ed 2/2 Nummer 22 mit CFZ4 602, daneben der Dampftriebwagen
Cm 1/2. Foto: Slg SVEA

Planmäßig schnaufen längst keine „Glaskasten“ und Dampftriebwagen mehr durchs Sensetal. Das Dampfzeitalter in dieser Gegend ist aber gar nicht ausgestorben, denn seit einigen Jahren verkehrt die DBB (Dampf-Bahn-Bern) mit ihren Nostalgiezügen auf der stillgelegten Strecke, denn seit Mitte der 1990er Jahre ist die Strecke Laupen-Gümmenen stillgelegt und wird auch für nostalgische Draisinefahrten benützt. Neben den drei „Glaskästen“ der STB wurden ähnliche Lokomotiven auch von der Langenthal-Huttwil-Bahn (Ed 2/2 Nr. 1 u 2), Baujahr 1931, SLM Winterthur sowie an die Huttwil-Wollhusen-Bahn (Ec 3/3 Nr. 5), Baujahr 1936, SLM Winterthur beschafft worden. Die Ed 2/2-Lokomotiv-Bauart war für eine längere Zeit als Mietlokomotive bei der Sursee-Triengen-Bahn im Einsatz gestanden. Überlebt hat die Ec 3/3 Nr. 5, welche im Besitz der Stiftung SBB Historic ist und bei Jubiläen oder anderen Sonderfahrten zum Einsatz kommt.


Glaskastenlok Ed 2/2 Nr. 23 ex Sensetalbahn im Dienst der Uerikon-Bauma-Bahn ca. 1941.
Foto: Tiefbauamt Kt. Zürich/Slg. SVEA
Quelle

Geschäftsberichte der Sensetalbahn
„Semaphor“ Zeitschrift Ausg. Herbst 2007
Eisenbahn-Amateur

Berichterstattung von HR. Lüthy-Pavan
Gestaltung von Franz Straka
Jänner 2010