Mit der Tramway durch St. Pölten
Berichterstattung von "unser Niederösterreich" Redaktion St. Pölten
Fahrgast Erich Hödl und der letzte Tramwayfahrer Alfred Fleissner erinnern sich an die St. Pöltner Tramway.
Im Februar vor 33 Jahren drehte die NEWAG den Strom ab - das war das endgültige Aus für die St. Pöltner Straßenbahn. Alfred Fleissner und Erich Hödl erinnern sich an „unsere Tramway". 65 Jahre lang prägte die Tramway das Straßenbild in St. Pölten. Vom 20. März 1911 bis zum 9. Februar 1976 rumpelte die Straßenbahn über die Gleisanlagen. „Zum Schluss haben uns der Friseur oder der Gemüsehändler angerufen, dass wieder einmal ein Stück Schiene rausgestanden ist und unsere Leute sind mit dem Schweißgerät ausgerückt", so Alfred Fleissner, ein Wiener Straßenbahnkind, der in diesen Jahren drauf und dran ist Chef der Straßenbahn zu werden.

Eröffnungsfoto von 1911. Foto:AR/Genehmigung der Redaktion für die Veröffentlichung
Der 3er Triebwagen mit Waggon fährt noch zum Erlaufsee. Foto: Fleissner/ Genehmigung der Redaktion für die Veröffentlichung
Aufsehenerregender Unfall
Die Gleisanlagen sind Mitte der 70er Jahre fürchterlich kaputt. Damals sorgt ein dramatischer Verkehrsunfall für Aufsehen. Ein Gleis, das sich in der Herzogenburger Straße von der Fahrbahn aufstellt, durchbohrt eine St. Pöltner Lehrerin, die mit dem Auto darüber fuhr. Ein Wunder passiert, die Lehrerin überlebt den schrecklichen Vorfall. Mit einer Förderung des Verkehrsministeriums und einer Bankgarantie der Stadt werden die Gleise zum Salzer, die Herzogenburger Straße und die Eybner Straße hergerichtet, aber es fehlt der Wille der Stadt, die Straßenbahn weiter zu führen. Als eine Stromrechnung nicht bezahlt wird, dreht die NEWAG am 10. Februar 1976 den Strom ab. Die Straßenbahn steht still „Einen Tag hat es gar keinen Ersatzverkehr gegeben. Tags darauf ist dann der Postautobus gefahren zu teureren Preisen", so Alfred Fleissner, der bis zum Schluß auch als Fahrer tätig war. Fleissner möchte den Betrieb kaufen und die Straßenbahn privat weiterführen, aber die wertlosen Anteile werden nicht verkauft. So nimmt er sich einen Kredit, statt wie geplant für die neue Küche, um alles, was von der Straßenbahn noch zu brauchen ist zu kaufen.Die ehemaligen St. Pöltner Straßenbahnen sind in Mariazell zu sehen und fahren im Juli, August und September zum Erlaufsee. Die St. Pöltner Straßenbahn war immer schon ein verrückter Betrieb mit
altem Klumpert, erinnert sich Fleissner schmunzelnd zurück. Aber trotzdem bemüht sich der Straßenbahnfan Fleissner, der jüngste Tramwayfahrer in Österreich, um dort zu arbeiten. Das Personal der Straßenbahn ist nicht zimperlich. Da kann es schon vorkommen, dass ein Güterzug zwischen zwei Loks mit doppelter Last über die Traisenbrücke gezogen wird. „Ein Wunder, dass die Traisenbrücke das ausgehalten hat", so Fleissner, der zwar nie selbst mit der Tramway entgleist, aber von der täglichen Entgleisung berichtet. „Da ist wer von der Werkstatt mit der Handwinde gekommen und hat die Tram wieder reingewuchtet." Die Fahrgäste sind derlei schon gewohnt und helfen bei Bedarfsfall schon mal mit, die Tram wieder in Gang zu bringen. Als ein Kollege von Fleissner bei starken Schneeverwehungen mit seiner Tram stecken bleibt und um Hilfe eines zweiten Triebwagens bittet, fährt er mit Schaufeln dorthin. „Wenn's wollt's, dass nach Hause kommt's, dann müsst's mitschaufeln", ist die nüchterne Aufforderung. Und auch die Fahrgäste beteiligen sich am Freischaufeln. Zwischen Fahrern, Schaffnern und Fahrgästen herrscht ein vertrautes Verhältnis. „Die 16-jährigen Mädels haben sich bei uns ausgeweint, weil der Freund davon ist und die alten Omas, weil der Mann gestorben ist." Respekt haben die St. Pöltner aber vor ihrer Straßenbahn. „Sie haben gewusst, dass die nicht stehen bleibt."
Kugelblitz in der Tram

Idylisch ging es am Bahnhofsplatz an den Cafehäusern vorbei. Genehmigung der Redaktion
für die Veröffentlichung
Mit desolatem Gerät fährt man durch die Stadt. Gefürchtet und heikel ist der 2-er Triebwagen. „Der durfte bei Regen nicht fahren, weil er noch seideisolierte Kabel gehabt hat, die bei Nässe zum Kurzschluss führten", erzählt Fleissner. So wie bei der Episode mit einer Mutter mit Kinderwagen, die in Wagram zustieg. Bei einer Bremsung löste sich ein Kabel und verursachte einen Kugelblitz, der den Kinderwagen in Brand setzte. Glücklicherweise hatte die Mutter vorher ihr Kind auf die Schoß genommen. Die Straßenbahn verkehrt ab 5 Uhr früh bis 22.30 stündlich. „Um 17 Uhr herum war immer eine halbe Stunde Pause",
so Fleissner, in der Fahrer und Schaffner auf ein Bier in das Bahnhofswirtshaus gehen. Da konnte es schon einmal vorkommen, dass die Pause etwas größer wurde und Fleissner, der nach dem Rechten schaute, Straßenbahner und Fahrgäste beim munteren Dopplertrinken entdeckte. „Da hab dann ich einige Nachmittagsschichten übernehmen müssen." Wenn der legendäre Chef Ing. Hassler zu seiner Schwester nach Hohenberg fährt, konnte es schon mal vorkommen, dass die Tramway unter der Autobahnun­ terführung versteckt wurde, da mit der Fahrer Einkehr im nahen Wirtshaus fand.
St Pöltner schätzen sie
Aber die Fahrgäste sind daran gewöhnt und lieben ihre Tramway, auch wenn die eine oder andere Verspätung auftritt oder der Chef mit Nachtgewand und Zipfelmütze die Fahrten übernimmt, weil die anderen zu spät zum Dienst kommen. „Da hat er mich immer angerufen, ob ich nicht aushelfen kann", so Fleissner, der hauptsächlich schon mit anderen Aufgaben betreut war.



Der Tramway Güterzug auf dem Weg zur Glanzstoff. Foto: Genehmigung der Redaktion für die Veröffentlichung


Der Postwagen im Bereich der Museumstramway Mariazell, zeigte sich vor einigen Jahrzehnten am Rathausplatz. Foto: MT Eisenbahnbedarf / Genehmigung der Redaktion für die Veröffentlichung

„Wenn die Straßenbahn vorbeigerumpelt ist, hat man keine Uhr gebraucht", erzählt der Harlander Erich Hödl, der immer sehr gern mit der Tram zu seiner Freundin oder mit den Eltern zum Stadtbummel gefahren ist. Zur Zeit versucht Hödl die Remise, die heute noch steht, im Modell nachzubauen. Die Endstelle war übrigens bei der Harlander Schule - Ausgangspunkt war der Bahnhof. Zu „besten" Zeiten, 1947, verzeichnete die Tramway, die zum Schluss als GesmbH. mit Anteilen der Firmen Salzer, Glanzstoff und Harlander geführt wird, mit Anteilen fast 1,4 Millionen Personenfahrten pro Jahr. „Einmal habe ich für Zigarettenwerbung eine Fahrt gemacht, die im Fernsehen war", so Fleissner, der überglücklich wäre, wenn es irgendwo wen gäbe, der dies damals aufgenommen hat. Übrigens war die St. Pöltner Straßenbahn der letzte Straßenbahnbetrieb in Niederösterreich und es liegt ein theoretisches Projekt, wonach man mit einer historischen Tram vom Bahnhof zum Regierungsviertel fahren könnte, in den Schubladen einiger Straßenbahnbegeisterter.

Der legitime Nachfolger der St Pöltner Straßenbahn ist die Museumsbahn in Mariazell, die zu Pfingsten, im Juli, August und September an Wochenenden und Feiertagen zum Erlaufsee fährt. http://www.museumstramway.at
Wir bedanken uns bei Frau Patricia Hermanek (Produktionsleiterin) und bei Herrn Franz Frauwallner (Redaktionsleitung) für die Genehmigung, diesen Bericht unter der Rubrik Zeitzeugen auf www.bahnzauber-europa.at zu veröffentlichen.
Berichterstattung von "unser Niederösterreich" Redaktion St. Pölten
Reporter: Andreas Reichebner
Gestaltung: Rupert Göd und Franz Straka
März 2009